Professor Pietralla

Fachschaft: Möchten Sie zu Beginn ihren Werdegang schildern? Wie sind Sie an die TU Darmstadt gekommen?

Pietralla: Ich habe 1996 in Köln promoviert und blieb am dortigen Institut für Kernphysik zunächst als Postdoc. Danach wurde ich 1998 vom japanischen Wissenschaftsministerium ans Forschungszentrum RIKEN in Tokio eingeladen. Im Jahr 1999 erhielt ich im Rahmen des Emmy Noether-Exzellenz-Programms ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit dem ich an die amerikanische Elite-Universität Yale ging. Das war das erste und bisher einzige Stipendium dieses Programms im Bereich der Kernstrukturphysik. Mit diesen Förderungen soll dem Abwandern von Wissenschaftlern in die USA entgegengewirkt werden. Die Idee: Wir schicken die Leute für zwei Jahre weg und geben ihnen danach die Möglichkeit, in Deutschland Hochschulgruppen aufzubauen. Dieses Programm läuft parallel zu dem der Juniorprofessur und ermöglicht Postdocs eine Karriereperspektive in Richtung Professur unter Umgehung der Habilitation. Habilitiert habe ich mich trotzdem im Jahr 2003. Von Yale kehrte ich 2001 nach Deutschland zurück zum Aufbau einer Hochschul-Nachwuchsgruppe in Köln. Im Jahr 2003 folgte ich allerdings nach meiner Habilitation in Experimentalphysik einem Ruf der State University of New York at Stony Brook (Long Island, New York) auf eine Assistenzprofessur. Nach einer Auszeichnung als Outstanding Junior Investigator durch das US-Energieministerium wurde ich dort zum festangestellten Associate Professor berufen. Anfang 2006 kehrte ich als Professor für Experimentalphysik an meine alma mater nach Köln zurück. Kurz zuvor hatte ich allerdings bereits den Ruf nach Darmstadt erhalten, dem ich zum Oktober 2006 dann folgte. Meine Nachfolge in Köln wird zu diesem Semester übrigens Herr Kollege Zilges antreten. Und das ist eigentlich ganz lustig, denn wir saßen als Studenten in Köln lange Jahre in einem Büro.

Fachschaft: Was sind Ihre Hauptforschungsgebiete?

Pietralla: Ich bin ein experimenteller Kernphysiker und forsche besonders auf dem Gebiet der Kernstrukturphysik und der Proton-Neutron-Wechselwirkungen in Atomkernen. Eine Klasse von Kernstrukturphänomenen, für die ich mich besonders interessiere, wurden hier in Darmstadt Anfang der 1980er Jahre von Professor Richter und seinen Studenten entdeckt und am Darmstädter Elektronenbeschleuniger in unserem Haus untersucht. Somit freue ich mich besonders und bin stolz darauf, als sein Nachfolger hierher gekommen zu sein. Meine Arbeitsgruppe forscht aber nicht nur im Institut der TU am S-DALINAC, sondern z. B. auch an der GSI in Wixhausen, am CERN und an den amerikanischen Universitäten Duke und Yale und dem amerikanischen Nationallabor ANL bei Chicago. Darüber hinaus bestehen Forschungskooperationen mit Gruppen aus vielen Ländern. Dem entsprechend multinational ist meine Gruppe besetzt: Wir haben neben Deutschen auch einen koreanischstämmigen US-Amerikaner, einen Syrer, einen Rumänen, einen Ukrainer, einen Franzosen, eine Griechin und einen Iraner in unserer Gruppe.

Fachschaft: Und wie kann man sich das vorstellen, was Sie untersuchen?

Pietralla: Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Wir erforschen u.a. schwere Atomkerne, also Kerne mit vielen Neutronen und Protonen. Diese Kerne sind kleine Tröpfchen aus Kernmaterie. Diese Tröpfchen können schwingen, ganz so wie die Wassertropfen in der Schwerelosigkeit, die Sie vielleicht aus der O2-Werbung kennen. Meistens schwingen die Neutronen und Protonen zusammen. Doch die Quantenphysik verlangt, dass sie sich auch gegenphasig bewegen sollten. Solche Schwingungszustände der Atomkerne werden tatsächlich beobachtet. Ihre Eigenschaften lehren uns viel über die Quantenphysik der Kerne und die Wechselwirkungen zwischen den Protonen und Neutronen, aus denen sie bestehen.

Fachschaft: Was interessiert Sie ansonsten besonders?

Pietralla: Quantenphysik und die Phänomene, die mit ihr zusammenhängen und oft scheinbar im Widerspruch zur Alltagserfahrung stehen. Die Quantenphysik eröffnet Verständnis in vielen Bereichen des Allerkleinsten, das wir aus der klassischen Physik nicht mehr erhalten können. Viele dieser Phänomene wie z. B. Quantenzustände allgemein oder Interferenzphänomene spielen natürlich auch in der Kernphysik eine große Rolle.

Fachschaft: Gibt es etwas, worauf Sie in Ihrer Experimentalphysikvorlesung besonderen Wert legen werden?

Pietralla: Ja, natürlich. Ich werde versuchen, den Studenten ein solides Fundament für ihr Physikstudium und für ihr späteres Berufsleben als Physiker zu legen. Das bedeutet, dass ich neben den grundlegenden Begriffsbildungen und Phänomenen die prinzipielle Arbeitsweise des Physikers zu vermitteln versuche. Diese besteht im Wesentlichen aus drei Schritten: der Beobachtung, so exakt wie möglich, der (mathematischen) Formulierung einer Erklärung und der unabhängigen, selbstkritischen Überprüfung des Erklärungsversuchs. Die Beherrschung dieser Herangehensweise an alle möglichen Problemstellungen macht Physiker letztendlich in der Forschung und am Arbeitsmarkt so begehrt.

Fachschaft: Haben Sie irgendwelche Ratschläge, die Sie den Erstsemestern für Ihr Studium mit auf den Weg geben möchten?

Pietralla: Am wichtigsten ist, dass man den Spaß an der Physik behält und sich auch über verblüffende Alltagsphänomene immer wieder aufs Neue wundern und freuen kann.

Ein kleines Beispiel: Ich fliege aus beruflichen Gründen sehr oft und beobachte immer wieder Menschen, die die doch für Menschen eigentlich ungewöhnliche Aussicht aus der Vogelperspektive so gar nicht fasziniert, wenn der Flieger etwa in Start- und Landephasen in geringer Höhe schnell über der Erde fliegt. Das ist doch einfach schade!

Was die praktische Seite des Studiums angeht: Man sollte auf jeden Fall am Ball bleiben. Wenn man erst einmal abgehängt sein sollte, fällt es schwerer, wieder aufzuschließen. Dann man müsste ja Versäumtes nachholen und den Stofffortschritt gleichzeitig bewältigen, also umso härter arbeiten und das oft alleine. Wichtig ist, regelmäßig zu arbeiten und die Übungen selber zu machen.

Fachschaft: Wenn Sie sich heute noch mal überlegen sollten, was Sie studieren wollten, was würden sie nehmen, abgesehen von Physik natürlich?

Pietralla: Ich denke, Kunstgeschichte wäre reizvoll. Da könnte man an Universitäten in Italien, Griechenland und Ägypten studieren und forschen. Da ist das Wetter oft schöner als in Deutschland :-).

Aber um etwas Ernsthafteres anzusprechen: Die Naturwissenschaften sind generell interessant. Beispielsweise würden mich die Geologie, die Klimaforschung oder die Biologie, die ein großes Potential zum Beispiel in der Molekularbiologie bietet, interessieren, wobei mir bei der Biologie letztendlich die Isolation der Phänomene von ihrer Umgebung und so die Exaktheit der Physik fehlt.

Fachschaft: Was waren in der Schule ihre Lieblingsfächer?

Pietralla: Mathe. Mathe und Chemie. Ich hatte in der gesamten Oberstufe keine Physik, ich glaube sogar seit der achten Klasse. Ich entschloss mich bereits etwa in der Mittelstufe, Physik zu studieren. Teilchenphysik und so was hat mich wahnsinnig interessiert. In der Oberstufe meiner Schule kam allerdings ein Leistungskurs Physik nicht zustande und ich habe, neben Mathe-Leistung, Chemie gewählt, denn Sprachen oder sozialwissenschaftliche Fächer waren mir ein Graus. Damit hatte ich meine naturwissenschaftlichen Pflichten erfüllt und da Physiker naturgemäß faul sind, wäre ein Physikgrundkurs freiwillige Zusatzarbeit und damit eindeutig zuviel des Guten gewesen. Aber dass ich etwa seit der achten Klasse keinen Physikunterricht hatte, hat ja offensichtlich nicht allzu viel geschadet. Ein eventuell vorhandenes Vorwissen aus der Schule wird im Studium ja sowieso in kurzer Zeit überholt.

Fachschaft: Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit oder wofür hätten Sie gerne Freizeit?

Pietralla: Die Freizeit ist in der Tat knapp. Ich verbringe gerne meine Freizeit mit meiner Familie. Ich bin verheiratet und habe zwei Töchter. Als physischen Ausgleich zu der vielen Büroarbeit versuche ich aber regelmäßig ein- oder zweimal pro Woche zu joggen. In letzter Zeit arbeite ich außerdem gerne im Garten. Das entspannt. Während meiner Zeit am Long Island Sound in New York bin ich außerdem viel gesurft. Ich habe in Gehweite zum Strand gewohnt und hatte in einer kleinen, halbverfallenen Strandhütte mein Surfbrett liegen. Da musste ich am Feierabend nur das Segel aufspannen und konnte aufs Wasser. In Darmstadt geht das jetzt leider nicht mehr so leicht.

Fachschaft: Welche Gegenstände würden Sie mitnehmen, angenommen Sie wären auf eine einsame Insel verbannt worden?

Pietralla: Ein "Tischlein-deck-dich", eine Bibliothek und ein Surfboard.

Fachschaft: Möchten Sie den Studenten noch etwas mit auf den Weg geben?

Pietralla: Ich wünsche mir, dass die Studenten Spaß haben und neugierig sind. Ich hoffe, dass wir gut miteinander auskommen, nicht nur durch dieses Semester, sondern auch während der kommenden Jahre. Und vielleicht wird es ja so sein, dass die Studenten am Ende, wenn sie ihren Master-Abschluss oder gar ihren Doktor bekommen haben, sagen: "Bei dem Pietralla in den ersten Jahren, da haben wir viel gelernt, es hat uns den Spaß erhalten und gefördert und den Blick für die Naturphänomene erweitert und geschärft." Ich glaube, wenn das erreicht ist, wird es eine gute Anfängervorlesung gewesen sein.

(von Kay Müller und Simon Quittek im September 2007)

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